Vor 50 Jahren - das neue Saarbrücken wird geboren

"Mit dem neuen Jahr wird die neue Stadt geboren"

Zum 1. Januar 1974 trat die Gebiets- und Verwaltungsreform im Saarland in Kraft. Diese Reform machte Saarbrücken deutlich reicher und vielfältiger: Altenkessel, Gersweiler und Klarenthal, Güdingen, Bübingen, Eschringen, Brebach-Fechingen, Ensheim, Bischmisheim und Schafbrücke, Scheidt, Dudweiler mit Jägersfreude und Herrensohr wurden Stadtteile von Saarbrücken.

Die Fläche von Saarbrücken verdreifachte sich auf gut 150 km2 und die Zahl seiner Einwohner stieg von etwas mehr als 120.000 auf weit über 200.000.

50 Jahre sind seitdem vergangen, 20 Stadtteile bilden seitdem Saarbrücken. Zu Silvester 1973 beschrieb Alfred Schön als Redakteur für Landespolitik in der Saarbrücker Zeitung die Reform für die Landeshauptstadt: «Mit dem neuen Jahr wird die neue Stadt geboren».

Was änderte die Gebietsreform im Saarland?

Mit der Gebietsreform wurde zwar Saarbrücken deutlich größer, verlor aber seine Kreisfreiheit und wurde Teil des neu gebildeten Stadtverbandes bzw. heutigen Regionalverbandes. Der Stadtverband trat 1974 an die Stelle des früheren Landkreises Saarbrücken.

Beim Zuschnitt der Landkreise gab es nur kleine Änderungen und die bisherigen Landkreise St. Ingbert und Homburg wurden zum Saarpfalz-Kreis mit Homburg als Kreisstadt zusammengelegt.

Mit der Gebietsreform wurden im Saarland aus 343 Gemeinden und 104 Rathäusern mit 62 amtsfreien Gemeinden und 42 Ämtern nun nur noch 50 Gemeinden. Damit reduzierte sich die Zahl der Gemeinden auf ein Siebtel und die der Verwaltungseinheiten um die Hälfte.

Gründe für die Notwendigkeit der Reform

Von Mitte der 1960er bis Mitte der 1970er Jahre bestimmten Gebietsreformen bundesweit die Landes- und Kommunalpolitik. Weite Teile der Politik und der Öffentlichkeit plädierten für die Schaffung größerer Gemeinden mit hauptamtlich tätigen Führungskräften, um großräumig planen zu können.

Die Struktur von Hunderten von Kleinstgemeinden in den einzelnen Bundesländern machten es schwer, die Flächennutzung sinnvoll zu planen und Projekte zur Verkehrsführung, Wasser- und Abwasserversorgung umzusetzen.

Größe und Zuschnitt der Kreise und Gemeinden stammten noch aus dem 19. Jahrhundert, als die Menschen zu Fuß unterwegs waren oder mit der Postkutsche. Busse und Bahnen kamen erst im ausgehenden 19. Jahrhundert flächendeckend in Fahrt. Nun lebte man im Zeitalter der Massenmotorisierung und des Telefons.

Verwaltungsräume einerseits und Siedlungs- und Wirtschaftsräume andererseits waren häufig nicht deckungsgleich. Die Landschaft war zersiedelt und größere Planungen zur Schaffung von Wohnraum und vor allem Industrie- und Gewerbeansiedlungen litten unter kleinräumigen Strukturen.

Strukturpolitische Maßnahmen betrafen auch die Kommunen. Unter diesen Rahmenbedingungen litt der Strukturwandel und Nordrhein-Westfalen wurde vor dem Hintergrund der Kohlekrise bereits zu Beginn der 1960er Jahre zum Vorreiter der Gebietsreform. Andere Länder folgten.

Der zeitliche Ablauf der Reform im Saarland

Nach den Landtagswahlen 1970 packte die Regierung Röder im Juli 1970 das Thema an. Zuständig war Ludwig Schnur (CDU) als Innenminister. Am 17. Dezember 1970 verabschiedete der Landtag das Gesetz zur Vorbereitung der kommunalen Gebiets- und Verwaltungsreform im Saarland.

In Ballungsräumen sollten die Kommunen eine Mindestgröße von 15.000 Einwohnern aufweisen und außerhalb davon 8.000. Die Gemeinde Altenkessel nutzte die Möglichkeiten dieses Gesetzes und verhandelte mit Völklingen und Saarbrücken um eine Eingemeindung. Altenkessel entschied sich für die Landeshauptstadt.

Im Frühjahr 1971 wurde eine ministerielle Arbeitsgruppe gebildet, die Ministerialbeamten auf Vertraulichkeit getrimmt sowie die Landtagsfraktionen nur zurückhaltend eingebunden – dies galt auch für Schnurs eigene Partei. Anfang März 1972 legte die vom Innenminister gebildete Arbeitsgruppe ihren über 200 Seiten starken Bericht vor.

Die Gebietsreform von 1974 ein Meilenstein der Stadtgeschichte

Nun begann eine hitzige Diskussion im ganzen Land. Von Eingemeindungen betroffene Kommunen führten Bürgerbefragungen durch, überall lehnten die Betroffenen den Verlust der Selbständigkeit ab – so etwa auch in dem von der Eingemeindung nach Saarbrücken betroffenen Ensheim und Dudweiler. Die Befürworter und Gegner gingen quer durch die Parteien, die jeweilige lokale Perspektive war maßgeblich.

Am 12. September 1973 befasste sich der Landtag dann in erster Lesung mit dem Gesetz zur Neugliederung, in dritter Lesung wurde es mit der Mehrheit der CDU dann am 19. Dezember 1973 verabschiedet.

Saarbrücken brauchte die Reform und wird zum großen Streitpunkt

Besonders Saarbrücken brauchte die Reform. Die Landeshauptstadt hielt mit dem Winterbergkrankenhaus, der Berufsfeuerwehr, den damals vor allem in städtischer Trägerschaft befindlichen Schulen, dem Stadttheater und dem ÖPNV eine Infrastruktur vor, die von Tausenden von Menschen aus den Umlandgemeinden genutzt wurde und entsprechend größer auslegt werden musste. Finanziert wurde diese Infrastruktur von der Landeshauptstadt.

Der Wegzug ins Grüne war populär, Saarbrücken verlor dazu seit 1945 massiv an Einwohnern, während die Umlandgemeinden wuchsen und mit attraktiven Neubaugebieten lockten. Saarbrücken zählte zu den bundesdeutschen Städten mit der geringsten Fläche pro Einwohner. Folge war, bestehende Unternehmen wanderten ab, weil sie sich in der Stadt nicht weiterentwickeln konnten. Es gab keine Flächen für Erweiterungen.

Die Ansiedlung neuer Unternehmen und der notwendige Strukturwandel wurde ausgebremst, der dem weitgehend dem Bund gehörende Südraum wurde für die Stadt erst um 1970 nutzbar. Dazu kam ein kommunaler Finanzausgleich, der wie in keinem anderen Bundesland Städte benachteiligte. Erst 1972 wurde dieser nachhaltig geändert, nachdem der Saarbrücker Haushalt im Herbst 1971 ein Defizit von 20 Mio. DM aufwies. (HCH)

Im nächsten Newsletter mehr zur Diskussion und dem Widerstand der Stadtteile.